Gedanken zur Malerei

"Zeichen für innere Unruhe"

Ein Gemälde kann Betroffenheit erzeugen, dem Betrachter „einen Stich versetzen“. Diese Betroffenheit lässt sich häufig nicht einordnen, nicht kategorisieren und sie entzieht sich der Beschreibung. Ob sich diese Wirkung einstellt und in welcher Intensität ist subjektiv, immer an die Person des Betrachtenden gebunden.

„Die Unfähigkeit etwas zu benennen, ist ein Zeichen für innere Unruhe. […]. Die Wirkung ist da, doch sie lässt sich nicht orten […], und landet dennoch in einer unbestimmten Zone meines Ichs.“ [1]

Aus der Perspektive des Künstlers, des Malers geht die Betroffenheit, die nicht verortbare, nicht zu lokalisierende innere Unruhe, dem Gemälde voraus. Das Malen wird dann zum Versuch und zum Prozess, ihr Ausdruck zu verleihen.

In meinen Bildern versuche ich, Rissen und Brüchen Gestalt und Form zu geben. Ein wesentliches Strukturelement dabei ist die Hülle, die es erlaubt, Nähe zulassen und gleichzeitig die aus meiner Sicht notwendige Distanz zu respektieren.

Ich möchte Weite in der Nähe ermöglichen. In Anlehnung an Walter Benjamin ist Kunst auch immer ein Spiel zwischen Hülle und Verhülltem, also dem eigentlichen Gegenstand, dem Sujet des Bildes.[3]

 

Zwischen Nähe und Distanzlosigkeit besteht ein fundamentaler Unterschied. „Distanzlosigkeit ist nicht die Nähe. Sie vernichtet sie vielmehr. […] Der Nähe ist eine Ferne eingeschrieben, sie ist daher weit.“[2]

In meinen Bildern gehen „Hülle“ und „Gegenstand“ ineinander auf, der Gegenstand scheint sowohl hinter als auch in der Hülle auf. Da der Gegenstand selbst vielfach nicht klar konturiert ist, ist auch die Hülle unscharf. Das derart Verborgene enthält eine semantische Unschärfe, die meine Bilder ausmacht.

[1] Roland Barthes: Die helle Kammer. Bemerkung zur Photographie, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1989

[2] Byung-Chul Han: Transparenzgesellschaft, Matthes & Seitz, Berlin 2012

[3] Walter Benjamin: Wahlverwandschaften, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007

“No ideas but in things”

William Carlos Williams

Noch nie waren Menschen von so vielen Dingen umgeben wie wir heute in den reichen westlichen Ländern. Einen Gegenstand, ein Motiv für ein Gemälde auszuwählen, könnte angesichts dieser Vielfalt eine schwierige Aufgabe sein. Interessanterweise fällt mir genau das jedoch meistens sehr leicht. Woran liegt das? Helfen die Dinge, die Gegenstände hier vielleicht mit – sind sie daher gewissermaßen lebendig? Dieser Gedanke erscheint absurd:

„Andere als kausale oder instrumentelle Wechselwirkungen mit unbelebten Gegenständen, insbesondere mit Artefakten, sind im aufklärerisch-rationalen Weltverständnis nicht vorgesehen; sie sind nicht einmal konsistent denkbar. Das […] Universum der Moderne ist daher ein ‚stummes Universum‘, in dem außer der Stimme des Menschen keine weitere Stimme vernehmbar ist“.[1]

Unsere Sprache jedoch kennt durchaus Redewendungen, die eine wechselseitige Beziehung zwischen Menschen und Dingen nahelegen: Dinge „sprechen uns an“ oder „sagen uns zu“.[2] Aus einem poetischen Blickwinkel heraus ist das sogar wünschenswert.  

Rilke hörte gerne die „Dinge singen“ und störte sich an dem schnellen, leichtfertigen, ordnenden und rücksichtslosen Zugriff der Menschen auf die sie umgebende Welt:

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn und das Ende ist dort.

[,,,]

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern:
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um
.[3]

Rilkes Perspektive kommt dem, was meine Arbeit ausmacht, sehr nah. Ein Gegenstand, der mich „anspricht“, benötigt in der malerischen Auseinandersetzung mit ihm eine große Wertschätzung. Das heißt vor allem, mir Zeit zu nehmen, genau hinzusehen, d.h. zu sehen, was ist und nicht, was ich auf den ersten Blick zu sehen glaube.

 Dabei möchte ich in einen Dialog mit meinem Motiv treten – im Gemälde wird der Gegenstand transformiert und durch den Prozess der Beschäftigung mit dem Gegenstand kann auch ich mich verändern. Dorothee Kimmich schreibt über Cézanne, dass es ihm gelungen sei, „die Dinge zum Schauen, zum Lächeln zu bringen.“[4] Wenn ich mir ein Bild gelungen ist, freue ich mich und hoffe, dass die Dinge irgendwann einmal zurücklächeln.

[1] Hartmut Rosa, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2018

[2] Vgl. Hartmut Rosa, a.a.O.

[3] Rainer Maria Rilke. Die Gedichte, Insel, Frankfurt am Main, 1986

[4] Dorothee Kimmich. Lebendige Dinge in der Moderne, Konstanz University Press, Konstanz 2011